Rhabarberkuchentour nach Dangast

Frühling auf zwei Rädern – eine kleine Kaffeetour mit Tiefgang

Ein Frühlingstag, wie er im Buche steht: rund 20 Grad, wolkenloser Himmel und Sonnenschein. Kurz gesagt: ideales Motorradwetter. Nicht zu heiß für längere Pausen in der Kombi, aber warm genug für längere Touren. Ich kontrolliere noch schnell den Luftdruck – und dann geht’s los: auf eine kleine, aber besondere Tagestour durch Norddeutschland.

Knapp 190 Kilometer liegen vor mir. Eine Strecke die vollgepackt ist mit Geschichte, Weite, Küstenflair und natürlich einem verdienten Stück Rhabarberkuchen.

Auftakt mit Gänsehaut: Der U-Boot-Bunker Valentin

Mein Startpunkt wiegt schwer – der U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge. Dieses kolossale Bauwerk steht direkt an der Weser und wirkt auf den ersten Blick wie ein Relikt aus einer fernen Industrie-Ära. Doch die Geschichte dahinter ist düsterer, als man es sich vorstellen mag.

In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs plante das NS-Regime hier die Serienproduktion von U-Booten des Typs XXI – Hightech seiner Zeit. 426 Meter lang, bis zu 33 Meter hoch und errichtet aus über 500.000 Kubikmetern Beton – ein gigantisches Vorhaben. Und doch wurde der Bunker nie fertiggestellt, kein einziges U-Boot lief je vom Stapel.

Was blieb, ist ein Mahnmal. Ein Ort, der an über 10.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge erinnert, die unter katastrophalen Bedingungen hier schuften mussten. Viele überlebten das nicht. Heute steht der Bunker allen offen, die sich mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen wollen – kostenlos oder gegen Spende.

Ich halte kurz inne, laufe durch die kühlen Schatten dieses grauen Monuments, und als ich wieder aufs Motorrad steige, begleitet mich ein stiller Kloß im Hals auf die ersten Kilometer.

Hanseatische Ruhe auf schmalen Wegen

Norddeutsche Nebenstraßen sind keine Alpenpässe – das ist klar. Die Kurven sind sanft, die Landschaft weit. Aber genau das bringt eine ganz eigene Form von Gelassenheit mit sich. Die kleinen Straßen schlängeln sich durch die flache Wesermarsch, vorbei an Feldern, Höfen und ab und zu einem Bauerngarten in voller Frühlingsblüte. Man nimmt automatisch das Tempo raus – weil’s einfach besser passt.

Inselflair auf Harriersand

Wenig später erreiche ich Harriersand – eine langgestreckte, schmale Flussinsel mitten in der Weser. Über eine kleine Brücke am Ostufer ist sie mit dem Festland verbunden. Die Insel war lange ein Geheimtipp, ist aber auch heute noch kein Ort für Massentourismus.

Schilfgürtel säumen das Ufer, Möwen kreischen über den Sandbänken, irgendwo klappert ein Fahnenmast im Wind. Es ist ruhig hier – fast zu ruhig, um direkt weiterzufahren. Auf der einzigen Straße, einem schmalen Singletrack, tuckere ich gemächlich über die Insel. Ein idealer Ort, um kurz abzusteigen, durchzuatmen und die Natur auf sich wirken zu lassen.

Ein kleines Café, die Strandhalle, lädt zum Verweilen ein. Ich spare mir den Kaffee zwar für später auf, aber die Aussicht ist trotzdem ein Genuss. Und wer mag, kann hier schon das erste Mal maritimes Flair schnuppern.

Mit der Fähre über die Weser – und weiter nach Dangast

Die Strecke zwischen Bremen und Bremerhaven am östlichen Weserufer ist beliebt – vielleicht sogar zu beliebt, wenn man sich die vielen Lärmwarnschilder ansieht. Aber wer gesittet fährt und Respekt für die Region zeigt, kann gut nachvollziehen, warum Motorradfahrer hier so gern unterwegs sind.

Ein paar Kilometer weiter nehme ich in Sandstedt die Fähre. Etwa alle 20 Minuten pendelt sie über die Weser nach Brake und zurück – und auch wenn der Wesertunnel weiter flussabwärts auch eine Variante wäre: Ich liebe Fährfahrten. Sie holen einen raus aus dem Tempo, lassen Raum zum Innehalten. Nach dem Übersetzen rolle ich auf kleinen, teils kurvigen Straßen durchs ländliche Umland.

Dangast: Kuchen, Kunst und Küstengefühl

Dann endlich: der Jadebusen. Genauer gesagt – Dangast. Der Ort ist alt, charmant und an diesem sonnigen Frühlingstag vor allem eins: brechend voll. Kein Wunder – nach dem langen Winter scheint halb Norddeutschland rauszuwollen.

Bei meinem primären Tagesziel mache ich natürlich dennoch Halt – allein schon wegen des legendären Rhabarberkuchens im Kurhaus. Der wird hier in dicken Blechen gebacken und mit einer Schicht Baiser veredelt. Draußen ist Selbstbedienung angesagt, und obwohl die Schlange lang ist, lohnt sich das Anstehen. Viele Gäste nehmen gleich mehrere Stücke mit – eins zum Essen, zwei für daheim.

Frisch gestärkt mache ich noch einen kleinen Gang runter an den Strand. Dort steht auch die bekannte Phallus-Skulptur des Künstlers Eckart Grenzer – 3,20 Meter hoch, 4,5 Tonnen schwer. Sie markiert symbolisch die Grenze zwischen dem „männlichen“ Land und dem „weiblichen“ Meer. Norddeutscher Humor trifft auf provokante Kunst.

Zwischen Baumschulen und Wurstmühle

Nach dem Küstenstopp geht’s weiter Richtung Bad Zwischenahn. Kurz vor dem Ort steht ein bekanntes Fotomotiv: die Rügenwalder Mühle – bekannt aus der Fernsehwerbung, wo die reale Mühle tatsächlich eher spät Einzug hielt. Die Mühle ist kein historisches Original, sondern wurde 2012 vom gleichnamigen Unternehmen errichtet. Heute gehört das Gelände samt Veranstaltungszentrum zum Unternehmen, welches in der Nähe seine Zentrale hat. Das berühmte Firmenlogo gab es allerdings schon lange vor der realen Mühle.

Leider ist auch Bad Zwischenahn an diesem Tag gut gefüllt. Ich beschließe, keine längere Pause einzulegen, sondern fahre weiter – vorbei an einem ganz besonderen Highlight, das im Video leider fehlt: die großen Baumschulen rund um die Region. Kilometerweit säumen akkurat frisierte Büsche, Bäume und Pflanzen die Straßen – als würde man durch eine riesige Gartenausstellung cruisen. Wer ein Auge für Details hat, kommt hier voll auf seine Kosten.

Letzte Etappe durch die Wesermarsch

Ich passiere Oldenburg und tauche wieder ein in die stille, weite Landschaft der Wesermarsch. Hier ist die Welt noch ländlich im besten Sinne: Dörfer mit alten Bauernhäusern, Trecker und Straßen, die Fahrwerk und Fahrer fordern. Der Belag ist streckenweise ruppig – aber das gehört hier irgendwie dazu. Man fährt langsamer, sieht mehr, entspannt mehr.

Als ich mich der Stadtgrenze von Bremen nähere, passiere ich die Werften Lürssen und Abeking & Rasmussen – Hightech-Schmieden für Yachten und Marineschiffe. Ein letzter Weser-Übergang bringt mich nach Vegesack, mitten hinein in die Stadt – und zurück in den Alltag.

Fazit: Kleine Tour, große Wirkung

Diese Tagestour war keine Herausforderung für Mensch und Maschine – aber dafür eine echte Erlebnisfahrt. Geschichte, Natur, Kultur, Kulinarik – auf knapp 200 Kilometern gab’s ein bisschen von allem.

Genau das liebe ich an Norddeutschland: Es drängt sich nicht auf. Aber wenn man sich drauf einlässt, erzählt es seine Geschichten – ganz ohne große Worte. Man muss nur zuhören. Oder losfahren.

Lust auf mehr?

Wie wäre es dann mit der Apfelblüte im Alten Land oder zur Rapsblüte in den Norden?